Montag, 16. August 2010

Wie mein Sofa besudelt wurde

Ich gab eine Party. Zwei Bekannte von mir luden jeder fünf ihrer Kollegen ein. Die Truppe, die dadurch entstand, war international gemischt: Norweger, Deutsche, Isländer, Südafrikaner, Portugiesen. Amanda freute sich, als sie hörte, wer alles eingeladen war: Hatte doch ihr Freund mit ihr Schluss gemacht, und die Aussicht, neue (exotische) Männer kennenzulernen, reizte sie. Zur Party hatten alle ihren eigenen Alkohol mitgebracht und auf dem Balkon deponiert, ansonsten gab’s selbstgebackene Pizza.

Ragnar, der Isländer, war gerade von seiner Insel zurückgekommen. Nur zwei Wochen vorher waren wegen der Aschewolke die europäischen Flugplätze lahmgelegt. Ragnar erzählte: ”Also, wegen dem Vulkanausbruch… wieso habt ihr in Europa so viel Panik gemacht? Auf Island waren alle Flughäfen geöffnet, die ganze Zeit… Wo ist das Problem, ist doch nur Asche! Und überhaupt: Bei uns gehören Erdbeben und Vulkanausbrüche zum Alltag. Wenn bei einem Bauern der Hof eingeäscht ist, kommen die Nachbarn und helfen beim Aufräumen. Und sitzen dann noch gemütlich zusammen. Und ein Erdbeben kündigt sich immer kurz vorher an, das klingt wie ein Zug in der Ferne. Da geht man aus dem Haus, wartet ab, und geht dann wieder rein. Keinen Menschen stört’s. – Ach ja, und als die Finanzkrise begann und eine isländische Bank Probleme bekam, entschied einer unserer Politiker, dass ausländische Kontobesitzer nur noch die Hälfte ihrer Ersparnisse zurückbekommen. England setzte daraufhin Island auf die internationale Terrorliste, zusammen mit Al Kaida. Dort blieb Island ganze sechs Monate. Und das, wo wir nicht einmal eine Armee haben… England und Schottland haben jetzt gerade Probleme mit der Aschewolke, aber das gönnen wir denen. Wir liegen nämlich ständig im Clinch mit England, wegen dem Dorsch im Nordatlantik… Apropos Atlantik: Wenn wir auf Island angeln gehen, nehmen wir ”Fischwasser” mit – Schnaps. Angeln und Saufen gehören zusammen. Bei der Jagd machen wir das nicht – ist zu gefährlich. Aber wir singen viel. Isländische Lieder sind oft sehr melancholisch oder brutal. Das liegt an unserer rauen Natur und Fischertradition. Ständig kommen Menschen auf hoher See um, das gehört zum Alltag. Daher sind unsere Lieder oft geprägt von Kamp, Tod, Raben, Gletscherspalten, Finsternis. Sehr depressiv, aber so ist das Leben nun mal. Und wir lieben diese Lieder. – Ach, und übrigens: Es sind mal DNA-Analysen durchgeführt worden. Dabei kam heraus: Nur die isländischen Männer sind reinblütig, die isländischen Frauen aber nicht. Das liegt daran, dass die Wikinger auf ihren Raubzügen sich permanent neue Frauen besorgt und nach Island verschleppt haben… Island ist cool. War lustig, die Tage, als Gorbatschow und Reagan sich in Reykjavik getroffen hatten. Amerikanische und russische Gäste lebten da in getrennten Lagern, und unsere isländischen Taxifahrer durften sich nur für eine der beiden Seiten verpflichten, durften also nicht überwechseln. Die Taxifahrer, die für die Russen arbeiteten, hatten sich eine goldene Nase verdient, die Russen haben nämlich bar bezahlt, mit fetten Trinkgeldern. Die Amis dagegen zahlten nur mit Karte. Als die Taxifahrer, die für die Amis arbeiteten, das mitkriegten, waren sie sauer, aber es war schon zu spät, auf die russische Seite überzuwechseln.”

Alle hatten interessiert zugehört, und nun erzählten auch die anderen ein paar Schnurren aus ihren Ländern, ihrer Kultur. Der (weisse) Südafrikaner meinte: ”Die heutigen Konflikte in Südafrika zwischen Schwarzen und Weissen sind nicht so gross, wie man denkt. Viel schlimmer ist, wie sich die schwarzen Stämme gegenseitig bekriegen. Es gibt so einen Spruch: Wenn ein Schwarzer einen Weissen sieht, fängt er an zu lästern. Sieht ein Schwarzer einen Schwarzen aus einem anderen Stamm, so nimmt er Reissaus.”

Amanda hatte die ganze Zeit mit leuchtenden Augen dagesessen. Jetzt begann sie rundherum die Männer auszufragen: ”Bist du verheiratet? Ja? Und du? Geschieden? Ach, so’n Mist, ich lerne nur noch Verheiratete und Geschiedene kennen.”

Kurz vor 23 Uhr warnte ich vorsichtig meine Gäste: „ Bitte von jetzt an etwas leiser, sonst kriege ich Ärger mit meiner alten Vermieterin.“ Das liess sich natürlich nicht einrichten. Einer der Isländer schlug stattdessen vor, in seiner Wohnung weiterzufeiern. Wir gingen also alle zu ihm und machten uns breit in seinem Luxus-Appartment. Die Gruben-Arbeiter haben es echt gut: Der Arbeitgeber zahlt ihnen die Miete – egal wie hoch sie ist. Wir wurden erstmal mit Kümmelschnaps bewirtet, dann machten wir auf Vorschlag des neuen Gastgebers einen kleinen Eurovision-Song-Contest. Wir drei Deutschen sollten mit einem deutschen Lied anfangen. Wir guckten uns erstmal ratlos an: Nehmen wir die Nationalhymne? Hm, weiss nicht… Kannst du den Text? Nein, du? Nein, nicht alles… Egal, wir fingen an zu singen. Jeder in seiner eigenen Stimme, jeder in seinem eigenen Takt. Torben hätte beinahe „Brüderlich mit Herz und Verstand“ gesungen. – Die anderen Party-Leute applaudierten gnädig. Dann versuchten es die Norweger mit ihrer Hymne, was auch nicht so richtig lief, weil eine den Text vergessen hatte. Die Isländer sangen dann inbrünstig und textsicher eine isländische Ballade. Der Portugiese wollte schon seine Hymne singen, meinte dann aber zerknirscht, er hätte den Text vergessen, während der Südafrikaner vorgab, nicht singen zu können. Als Songcontest-Sieger wurden einstimmig die Isländer gewählt.

Nach Mitternacht beschlossen wir, in die Dorfdisco zu gehen. Amanda hatte an diesem Abend schon einiges an Alkohol verdrückt, lieh sich von einem der Grubenarbeiter einen Helm aus, knipste das Licht daran an, stürmte in die Disco und genoss die Aufmerksamkeit. Wir blieben bis zum Schluss. Ganz nach Finnmark-Sitte gingen wir nachher zur Wohnung zurück, wo wir zuletzt gepartiet hatten, und machten dort weiter. „Ich hab Hunger“, meinte Amanda zu mir, „du hast doch noch Pizza?“ – „Ja, wir können zu mir gehen und die Pizza holen.“ Es war früh um drei. Wir gingen los: Amanda, Antonio (ein Portugiese) und Martin (der Südafrikaner). „Ich geh rein und hole die Pizza“, sagte ich. „Nein“, drängelte Amanda, „lass uns bei dir essen.“ Na gut. Wir gingen also rein: Amanda, Martin und ich. Dass Antonio nicht mitkam, registrierten wir erstmal nicht. Martin schmiss sich auf mein Sofa, Amanda setzte sich auf ihn und begann, ihn auszuziehen. „Ey, stopp, wolltet ihr nicht Pizza essen?“ fragte ich. „Na gut“, knirschte Amanda, liess Martin los und begann an einem Pizza-Stück zu nagen. Dann klingelte ihr Handy. Amanda verschwand ins Bad, ich hörte von ihr nur englische Wortfetzen, unter anderem den Satz: „Nee, ich will keine Beziehung. Ich will nur meinen Spass.“ Nach wenigen Minuten kam sie zurück, weil bei ihrem Handy der Saft raus war, lieh sich von Martin das Telefon, steckte ihre Sim-Karte rein und telefonierte weiter. Auf Norwegisch. Die Zeit verging. Martin sass immer noch auf dem Sofa, grinste, gähnte und ass südafrikanische Kaubonbons. „Sorry“, meinte er zu mir, „ich würde ja gern gehen, aber ich warte auf mein Telefon.“ Nach einer Stunde war Amanda fertig, kam zurück in die Stube, machte aber keine Anstalten, die Wohnung zu verlassen. Ich ahnte schon, was das werden würde, hatte aber keinen Bock, die beiden rauszuschmeissen. Amanda zumindest nicht in ihrem Zustand. Ausserdem hätte sie wohl lautstark protestiert, die Alte unter mir wäre aufgewacht und… Ich gab auf: „Ich geh schlafen. Macht nicht so laut.“ Ich ging in mein Schlafzimmer, hörte nebenan nur noch leise Gespräche, dann war es still.

Ich schlief bis zum späten Vormittag. Martin war gegangen, Amanda hatte es sich auf meinem Sofa gemütlich gemacht und schlief. Stunden später, als sie wach war, erzählte sie: „Das war mein Ex, mit dem ich telefoniert hatte. Wir wollen uns wieder treffen.“ - „Und zu ihm hast du gesagt, du willst nur Spass, keine feste Beziehung?“ – „Waaas, hab ich das gesagt???“ – Dumm gelaufen. „Was war eigentlich mit Martin?“ fragte ich. „Ach nichts. Ich wollte mit ihm schlafen, aber sein Penis war mir zu klein, da hab ich drauf verzichtet. Er ist dann gegangen.“ – „Und was war mit Antonio? Der stand ja vor der Tür und war nicht reingekommen… „Keine Ahnung“, meinte Amanda, überlegte kurz und rief dann: „Ach Mist, jetzt fällt’s mir ein: Ich hatte vor seiner Nase die Haustür zugemacht.“ – Amanda sielte sich noch bis in den späten Nachmittag auf meinem Sofa, erst dann meinte sie glücklich: „OK, jetzt bin ich nüchtern, jetzt kann ich nach Hause fahren.“

Etwa eine Woche später stellte ich mehr oder weniger zufällig fest, dass Amanda mich, Susanne (unsere gemeinsame Freundin) und noch etwa 100 andere Leute aus dem Facebook gelöscht hatte. Ich fragte sie per facebook, was das soll, und versuchte sie anzurufen. Keine Reaktion. Ich verabredete mich mit Susanne, um all das zu bequatschen, was passiert war. Susanne schüttelte die ganze Zeit den Kopf: „Das kann nicht wahr sein… kündigt uns einfach so per facebook die Freundschaft… und dann diese Nacht bei dir… auf deinem herrlichen Sofa… darauf haben wir mal zusammen Karl-May-Filme gesehen… verdammt, was fällt ihr ein, das schöne Sofa derart zu besudeln…“ - „Stell dir mal vor“, meinte ich, „was würde die Alte unter mir sagen, wenn sie wüsste, was in der Nacht in ihrem Hause abgegangen ist?“ – Susanne grinste: „Die obere Etage ein Gratis-Stundenhotel, mit Pizza-Servierung zum Frühstück…“ Gute Idee. Ich werde vielleicht mal bei mir ne rote Lampe ins Fenster stellen.
042 - 17. Aug, 19:03

Immer wieder verblüffend zu lesen wie 'einfach' das Leben sein kann.
Jede mit Jedem, irgendwie - alles |B|U|N|T| durcheinander.
Wird das wohl noch was mit studieren?

Kaggi-Karr - 17. Aug, 19:31

@042:
Was denn für'n Studium? Das haben wir alle längst hinter uns :-)

042 - 21. Aug, 13:54

Tschuldigung - konnte ich ja nicht wissen.

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