Björn, der Nostalgiker
Busfahrer Björn wollte mit mir eine Spritztour nach Russland machen – zum Shoppen und Essen gehen. Er schwärmte mir vor, dass er in Nikel, der bereits erwähnten Industrie-Stadt hinter der Grenze, eine Wohnung hätte – die Wohnung seiner russischen Ex-Frau, wie ich Wochen später erfuhr. Ich ließ mich aber erst mal breitschlagen und fuhr mit. Nikel besteht eigentlich nur aus einer halb vergammelten, aber immer noch aktiven Fabrik und einem Haufen Neubaugebieten drumherum. Eingebettet ist das Ganze in eine riesige Mondlandschaft, in der keinerlei Vegetation eine Chance hat: Jahrzehntelange Schwefelausstöße haben ihre Spuren hinterlassen. Wir betraten den Hausflur eines Neubaublocks – alles wie schon oft gesehen: angenagte Treppen und putzrieselnde Wände. Die Wohnung selbst wirkte ein bisschen wie eine Junggesellenbude: Einerseits komplett eingerichtet (offenbar schon vor Jahrzehnten), aber irgendwie fad und lieblos. Björn fand das toll: „Eine typisch russische Wohnung. Gefällt mir.“ Ich dachte: Jede russische Frau hätte mit einigen Handgriffen und geringstem finanziellen Aufwand Wärme und Gemütlichkeit in diese Wohnung bringen können… Da saßen wir also in der trostlosen Küche. Björn bekam Durst, nahm sich ein Glas, zapfte Wasser von der Leitung und trank. Ich verschluckte mich vor Schreck: „Das musst du vorher abkochen. Oder, noch besser: Kauf einen Tank mit Trinkwasser. Ich kenne keinen Russen, der Wasser direkt aus dem Wasserhahn trinkt.“ Björn: „Na und? Wird schon nichts passieren. Ich hab mal Wasser aus einem Wasserturm getrunken, in dem ein toter Fuchs gelegen hatte. Und du siehst ja: Ich lebe noch.“ Er strahlte mich an, und ich nahm demonstrativ einen Schluck aus meiner eben gekauften Mineralwasserflasche. „Weißt du was“, begann er nach einer Weile, „in Kirkenes lebe ich im Wohnwagen. Deshalb bin ich richtig stolz, in Nikel eine Wohnung zu haben! Ich komme so oft wie möglich hierher. Hier kann ich shoppen, essen gehen, billig zum Optiker, Zahnarzt und Automechaniker… Das Paradies auf Erden.“ – Später, in Kirkenes, erzählte ich Oxana davon. Sie meinte: „Hey, das ist doch DIE Idee! Du ziehst mit dem nach Nikel, in seine Wohnung.“ – „Und was mach ich in diesem blöden Nikel?“ – „Was weiß ich, leg dir nen Gemüsegarten zu.“ - „Neben der Zinkfabrik?“ – „Klar, warum nicht.“ Und sie zitierte aus einem bekannten russischen Rocksong: „ Dort kannst du dann Aluminiumgurken anbauen.“ - Nach dem Lunch machten Björn und ich uns auf den Weg in die Stadt, zum obligatorischen Shoppen, Tanken und Essen gehen. - Nach Kirkenes zurückgekehrt, unterhielt ich mich mit einer Kollegin über Björn. „Der ist eine Nervensäge“, erzählte sie. „Wenn er sich einmal an einen Menschen rangeklammert hat, lässt er ihn nicht mehr los.“ Sie wusste, wovon sie sprach…So ganz nebenbei erwähnte sie noch sein Hobby: Er liebt alte sowjetische Automarken. Kürzlich hatte er sich einen Wolga aus den 60er Jahren gekauft. Mit dem Ding, sagte er, wolle er mal an einem der SU-Oldtimer-Treffen teilnehmen, die regelmäßig in Nordnorwegen stattfinden. Und er schwärmt von all den alten sowjetischen Matchbox-Autos, die er gesammelt hat… Ich versuchte in den nächsten Wochen, diesem merkwürdigen Typen aus dem Wege zu gehen. Aber Bekanntschaften in Dörfern einschlafen zu lassen ist nicht so einfach: Man sieht sich fast zwangsläufig immer wieder, wenn ich mit dem Bus fahre…
Kaggi-Karr - 12. Aug, 19:01