Das 20. Jahrhundert: Delikate Dialoge
Ich erzählte in lustiger Runde, dass im offiziellen DDR-Sprachgebrauch Begriffe wie ”ruhmreiche Sowjetunion” und ”friedliebende Sowjetunion” verwendet wurden.
Sara, die Finnin, lachte sich kaputt.
Andrei, der Ukrainer, verzog keine Miene: ”Wieso, stimmt doch.”
***
Fragt mich ein Ukrainer: “Bist du eigentlich katholisch oder evangelisch?” – “Weder noch.” – Logische Schlussfolgerung des Ukrainers: “Aha, dann bist du also Atheist. Und wenn du Atheist bist, dann bist du auch Kommunist.”
***
Andrei lud uns - Sara und mich - in sein Zimmer ein, wo er uns mit einem selbstgemachten Reisauflauf in einer großen Pfanne bewirtete: Er stellte die Pfanne auf einen großen Tisch und teilte den Inhalt in drei Teile.
Zu meinem Teil sagte er: "Das ist Deutschland."
Dann zeigte er auf Saras Teil: "Das ist Finnland."
Dann zeigte er auf seinen Teil: "Das ist die Ukraine."
Danach drehte er die Pfanne um etwa dreißig Grad: "Und jetzt isst jeder das Land seines Nachbarn." -
Ich bekam Finnland. "Wenn du ein großes Fettstück findest - das ist unser Präsident", warnte mich Sara.
Andrei dagegen fragte Sara nach einer Weile: "Und, wie ist die Ukraine?" - Sara begann zu husten. "Was ist los?" - "Ich habe gerade die Ostukraine gegessen. Schrecklich, diese Industrie dort..." - "Aber warum isst du nicht weiter? Schau mal, der ganze Norden ist übrig." - "Das ess' ich nicht, bist du denn wahnsinnig? Dort ist Tschernobyl!"
***
Ich unterhielt mich mit Andrei über Deutschland. Andrei wollte wissen, ob ich mich als Deutsche des vereinten Deutschlands fühle oder als Ostdeutsche. Eine schwierige Frage.
"Eigentlich als Gesamtdeutsche, aber in einigen Punkten bin ich von der ostdeutschen Mentalität beeinflusst". -
"Was meinst du genau?" -
"Vielleicht der kollektive Geist. In Westdeutschland steht eher das Individuum im Vordergrund. Das mit dem kollektiven Geist stammt wahrscheinlich aus der DDR-Zeit." -
Andrei grinste: "Bewahrt euch das - das kommt von uns..."
***
Ein Russlanddeutscher mit Namen Iwan kam öfter mal zu uns zum Teetrinken und Deutsch reden. Jedes Mal wenn er zur Tür herein war, sagte er "Guten Tag" (auf Deutsch), stand stramm und legte dabei die Hände an die Hosennaht. Offenbar glaubte er, dass man sich so in Deutschland begrüßt. Ich versuchte mehrmals vergeblich, ihm das auszureden. - Sobald er kam, verzog sich Sara sofort ins Wohnzimmer: "Ihr sprecht ja eh nur Deutsch", und ließ mich mit ihm allein.
Einmal hatte er Kassetten mitgebracht: "Hier, das sind deutsche Kaisermärsche. Ich liebe deutsche Militärmusik. Was, du nicht??? Sag mal, kannst du mir nicht von denen so eine Kassette besorgen??? Was? Warum denn nicht???"
Wenig später erzählte er mir, dass er nach Deutschland auswandern und dort Pfarrer werden möchte.
***
Ich saß mit Andrei in der Küche, er erzählte mir von allen möglichen Foltermethoden. Als ihm nichts mehr einfiel, holte ich aus meinem Bücherschrank "Archipel Gulag" von Solschenizyn und zeigte ihm die Seiten, auf denen die Foltermethoden des NKWD (Name des KGB zur Stalin-Zeit) beschrieben wurden. Andrei stürzte sich auf das Buch, verschlang diese Seiten regelrecht und rief alle zwanzig Sekunden: "Kruto!“ (Geil!)
***
Mehrmals besuchte uns Gotscha, ein junger Georgier. Einmal erzählte er mir begeistert von Stalin.
Ich unterbrach ihn:
"Findest du das wirklich so toll, dass unter ihm Millionen von Menschen umgekommen sind?" -
"Na was denn, Stalin hatte große Ziele. Dafür musste er eben Opfer bringen." -
"Meinst du, der Zweck heiligt die Mittel?" -
"Ja."
***
Wir saßen zusammen beim Tee. Andrei (Ukrainer) plauderte mit mir über den Alltag an der sozialistischen Schule:
"Gab's bei euch auch Lenin-Appell? Altstoffsammlungen? Pioniernachmittage? Und wie lief das bei euch ab?"
Und schon waren wir in Weißt-du-noch-Geschichten verstrickt. Es war erstaunlich, wie viel Ähnlichkeiten wir herausfanden.
Ich schaute kurz in die Runde: Sara (Finnin) hatte uns offenbar interessiert zugehört, ohne sich allzu sehr zu wundern. Simon (Spanier) dagegen saß da mit einer Hand auf der Stirn, weitaufgerissenen Augen und heruntergeklappter Kinnlade.
***
Mitten in der Kutschma-Ära.
Andrei sagte uns: ”Also wenn ich hier in der Ukraine Präsident wäre, dann würde ich richtig aufräumen. Dann würde hier ein anderer Wind wehen.” –
”Ach ja, was würdest du denn konkret machen?” fragten wir neugierig.
Er erzählte: ”Also als erstes würde ich die jetzige Regierung entlassen.” –
”Ach ja, und dann? ” –
”Dann würde ich eine andere Regierung einsetzen, die aus meinen besten Freunden besteht.” –
”Ach ja, und dann?” –
”Dann würde ich alles tun, dass sie sich strikt an meine Anweisungen halten.” –
”Ach ja, und was würde sich damit in der Ukraine ändern?” –
Keine Antwort…
***
Ich wollte in gemütlicher Runde erzählen, dass im März zwei deutsche Studentinnen zum Praktikum nach Kiew kommen, eigentlich mit dem Hintergedanken, dass wir mit denen mal was unternehmen könnten. Allerdings drückte ich mich auf Russisch etwas unglücklich aus:
“V marte nemtsy budut v Kiewe.” –
“Im März sind die Deutschen in Kiew.” –
Andrei schaute mich mit schreckensverzerrten Augen an:
“Was? Wie?” –
“Na wie schon”, antwortete Sara kaltblütig, “mit Panzern und Flugzeugen natürlich.”
Ich bekam fast einen Schreikrampf.
Später gestand mir Sara: “Ich wollte mit der Antwort nicht dich ärgern, sondern Andrei.”
***
Jedes Mal, wenn Andrei zu uns kam, sagte er nach wenigen Minuten zu mir: ”Weißt du was, ich habe eine Frage.” Daraufhin folgte immer eine Frage, die etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte. Sara meinte zu mir: ”Der will dich nur ärgern, weil du die einzige Deutsche hier im Wohnheim bist.”
Einmal, als Sara und ich Gäste hatten, erzählten wir ihnen davon, die fanden das sehr amüsant. Wenige Minuten später kam auch Andrei zu uns. Wir saßen zusammen und redeten über Belangloses, da sagte Andrei plötzlich nichtsahnend zu mir: ”Du, ich habe eine Frage.” Alles brüllte los vor Lachen. Außer Andrei, der gar nicht wusste, wie ihm geschah.
***
Andrei sagte uns:
”Das heutige Russland ist schwach. Das liegt daran, dass die jetzige junge Generation an nichts mehr glaubt. Aber das wird sich ändern, nach zwei oder drei Generationen. Dann wird sich der russische Doppeladler wieder erheben. Das wird interessant.” –
Sara, die Finnin, wurde hellhörig:
“Ach ja? Wird das auch interessant für uns?”
Sara, die Finnin, lachte sich kaputt.
Andrei, der Ukrainer, verzog keine Miene: ”Wieso, stimmt doch.”
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Fragt mich ein Ukrainer: “Bist du eigentlich katholisch oder evangelisch?” – “Weder noch.” – Logische Schlussfolgerung des Ukrainers: “Aha, dann bist du also Atheist. Und wenn du Atheist bist, dann bist du auch Kommunist.”
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Andrei lud uns - Sara und mich - in sein Zimmer ein, wo er uns mit einem selbstgemachten Reisauflauf in einer großen Pfanne bewirtete: Er stellte die Pfanne auf einen großen Tisch und teilte den Inhalt in drei Teile.
Zu meinem Teil sagte er: "Das ist Deutschland."
Dann zeigte er auf Saras Teil: "Das ist Finnland."
Dann zeigte er auf seinen Teil: "Das ist die Ukraine."
Danach drehte er die Pfanne um etwa dreißig Grad: "Und jetzt isst jeder das Land seines Nachbarn." -
Ich bekam Finnland. "Wenn du ein großes Fettstück findest - das ist unser Präsident", warnte mich Sara.
Andrei dagegen fragte Sara nach einer Weile: "Und, wie ist die Ukraine?" - Sara begann zu husten. "Was ist los?" - "Ich habe gerade die Ostukraine gegessen. Schrecklich, diese Industrie dort..." - "Aber warum isst du nicht weiter? Schau mal, der ganze Norden ist übrig." - "Das ess' ich nicht, bist du denn wahnsinnig? Dort ist Tschernobyl!"
***
Ich unterhielt mich mit Andrei über Deutschland. Andrei wollte wissen, ob ich mich als Deutsche des vereinten Deutschlands fühle oder als Ostdeutsche. Eine schwierige Frage.
"Eigentlich als Gesamtdeutsche, aber in einigen Punkten bin ich von der ostdeutschen Mentalität beeinflusst". -
"Was meinst du genau?" -
"Vielleicht der kollektive Geist. In Westdeutschland steht eher das Individuum im Vordergrund. Das mit dem kollektiven Geist stammt wahrscheinlich aus der DDR-Zeit." -
Andrei grinste: "Bewahrt euch das - das kommt von uns..."
***
Ein Russlanddeutscher mit Namen Iwan kam öfter mal zu uns zum Teetrinken und Deutsch reden. Jedes Mal wenn er zur Tür herein war, sagte er "Guten Tag" (auf Deutsch), stand stramm und legte dabei die Hände an die Hosennaht. Offenbar glaubte er, dass man sich so in Deutschland begrüßt. Ich versuchte mehrmals vergeblich, ihm das auszureden. - Sobald er kam, verzog sich Sara sofort ins Wohnzimmer: "Ihr sprecht ja eh nur Deutsch", und ließ mich mit ihm allein.
Einmal hatte er Kassetten mitgebracht: "Hier, das sind deutsche Kaisermärsche. Ich liebe deutsche Militärmusik. Was, du nicht??? Sag mal, kannst du mir nicht von denen so eine Kassette besorgen??? Was? Warum denn nicht???"
Wenig später erzählte er mir, dass er nach Deutschland auswandern und dort Pfarrer werden möchte.
***
Ich saß mit Andrei in der Küche, er erzählte mir von allen möglichen Foltermethoden. Als ihm nichts mehr einfiel, holte ich aus meinem Bücherschrank "Archipel Gulag" von Solschenizyn und zeigte ihm die Seiten, auf denen die Foltermethoden des NKWD (Name des KGB zur Stalin-Zeit) beschrieben wurden. Andrei stürzte sich auf das Buch, verschlang diese Seiten regelrecht und rief alle zwanzig Sekunden: "Kruto!“ (Geil!)
***
Mehrmals besuchte uns Gotscha, ein junger Georgier. Einmal erzählte er mir begeistert von Stalin.
Ich unterbrach ihn:
"Findest du das wirklich so toll, dass unter ihm Millionen von Menschen umgekommen sind?" -
"Na was denn, Stalin hatte große Ziele. Dafür musste er eben Opfer bringen." -
"Meinst du, der Zweck heiligt die Mittel?" -
"Ja."
***
Wir saßen zusammen beim Tee. Andrei (Ukrainer) plauderte mit mir über den Alltag an der sozialistischen Schule:
"Gab's bei euch auch Lenin-Appell? Altstoffsammlungen? Pioniernachmittage? Und wie lief das bei euch ab?"
Und schon waren wir in Weißt-du-noch-Geschichten verstrickt. Es war erstaunlich, wie viel Ähnlichkeiten wir herausfanden.
Ich schaute kurz in die Runde: Sara (Finnin) hatte uns offenbar interessiert zugehört, ohne sich allzu sehr zu wundern. Simon (Spanier) dagegen saß da mit einer Hand auf der Stirn, weitaufgerissenen Augen und heruntergeklappter Kinnlade.
***
Mitten in der Kutschma-Ära.
Andrei sagte uns: ”Also wenn ich hier in der Ukraine Präsident wäre, dann würde ich richtig aufräumen. Dann würde hier ein anderer Wind wehen.” –
”Ach ja, was würdest du denn konkret machen?” fragten wir neugierig.
Er erzählte: ”Also als erstes würde ich die jetzige Regierung entlassen.” –
”Ach ja, und dann? ” –
”Dann würde ich eine andere Regierung einsetzen, die aus meinen besten Freunden besteht.” –
”Ach ja, und dann?” –
”Dann würde ich alles tun, dass sie sich strikt an meine Anweisungen halten.” –
”Ach ja, und was würde sich damit in der Ukraine ändern?” –
Keine Antwort…
***
Ich wollte in gemütlicher Runde erzählen, dass im März zwei deutsche Studentinnen zum Praktikum nach Kiew kommen, eigentlich mit dem Hintergedanken, dass wir mit denen mal was unternehmen könnten. Allerdings drückte ich mich auf Russisch etwas unglücklich aus:
“V marte nemtsy budut v Kiewe.” –
“Im März sind die Deutschen in Kiew.” –
Andrei schaute mich mit schreckensverzerrten Augen an:
“Was? Wie?” –
“Na wie schon”, antwortete Sara kaltblütig, “mit Panzern und Flugzeugen natürlich.”
Ich bekam fast einen Schreikrampf.
Später gestand mir Sara: “Ich wollte mit der Antwort nicht dich ärgern, sondern Andrei.”
***
Jedes Mal, wenn Andrei zu uns kam, sagte er nach wenigen Minuten zu mir: ”Weißt du was, ich habe eine Frage.” Daraufhin folgte immer eine Frage, die etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte. Sara meinte zu mir: ”Der will dich nur ärgern, weil du die einzige Deutsche hier im Wohnheim bist.”
Einmal, als Sara und ich Gäste hatten, erzählten wir ihnen davon, die fanden das sehr amüsant. Wenige Minuten später kam auch Andrei zu uns. Wir saßen zusammen und redeten über Belangloses, da sagte Andrei plötzlich nichtsahnend zu mir: ”Du, ich habe eine Frage.” Alles brüllte los vor Lachen. Außer Andrei, der gar nicht wusste, wie ihm geschah.
***
Andrei sagte uns:
”Das heutige Russland ist schwach. Das liegt daran, dass die jetzige junge Generation an nichts mehr glaubt. Aber das wird sich ändern, nach zwei oder drei Generationen. Dann wird sich der russische Doppeladler wieder erheben. Das wird interessant.” –
Sara, die Finnin, wurde hellhörig:
“Ach ja? Wird das auch interessant für uns?”
Kaggi-Karr - 10. Okt, 23:30