Generationskonflikt
Petersburg-Exkursion mit Slavistik-Studenten. Auch dabei: Russisch-Dozenten, Durchschnittsalter: 60. Gleich am ersten Tag fand die obligatorische Bus-Stadtrundfahrt statt. Da ich die Highlights von Petersburg von meiner vorherigen Reise kannte, war diese Fahrt nicht allzu spannend für mich. Was mich und auch die anderen bei dieser Busfahrt nervte, war die Reiseleiterin: Sie sprach konsequent Deutsch, obwohl wir sie alle baten, Russisch zu sprechen. Außerdem: Sie redete viel, aber sagte nichts. Sie konnte stundenlang über die Garderobe von Katharina der Großen plaudern, sich dann dabei kurz unterbrechen und wie nebenbei bemerken: “Übrigens, das Gebäude, an dem wir gerade vorbeigefahren sind, ist der Gostinnyj Dvor.“ Ein nicht unwichtiges Gebäude, mitten auf der Prachtstraße von Petersburg, aber spielt ja keine Rolle. Als die gute Frau gerade erwähnte, wie viel hundert Paar Schuhe im Besitz Katharinas der Großen gewesen waren, schien unsere auf Landeskunde spezialisierte Russisch-Dozentin endlich eine Gelegenheit zu sehen, ihr Fachwissen anzubringen: “Plus Accessoires!” rief sie triumphierend. – Die Studenten zeigten an diesem Fachgespräch nicht das geringste Interesse, sondern maulten: “Können Sie nicht endlich Russisch reden?”
Am Schlossplatz, vor dem Ermitage, machte die Reiseleiterin eine zehnminütige Pause - “zum Fotografieren und Aufs-Klo-Gehen”. Ich beschloss, die Zeit sinnvoll zu nutzen, lief hinüber zum Newskij-Prospekt und stürmte in den erstbesten Buchladen. Ich hatte das Glück, dort einen wahren Schatz zu finden: “100 Tonbandkassetten des sowjetischen Rock”, ein Buch über die Aufzeichnung russischer Rockmusik in sowjetischen Underground-Tonstudios. Ich kaufte es sofort und machte mich auf den Rückweg. Am Schlossplatz angekommen, wurde ich sogleich von den Studenten umringt und musste ihnen meinen Fund zeigen. Meine Russisch-Dozenten starrten mit einer Mischung aus Misstrauen und Vorwurf erst auf das riesige Buch und seinen Titel, dann auf mich, gerade so, als hielte ich die aktuelle Ausgabe des “Playboy” in der Hand. Wenn ich ihnen gesagt hätte, dass ich dieses Buch für meine Magisterarbeit über die russische Rocklyrik brauche, hätten sie mich wahrscheinlich auf der Stelle gesteinigt.
Die Isaaks-Kathedrale stand auf dem Programm. Die deutschsprachige Reiseleiterin führte uns durch das Gebäude und redete dabei mit einer Stimme, die an einen plätschernden Bach erinnerte. Der monotone Singsang machte mich schläfrig, und ich blieb auch ein wenig hinter der Gruppe zurück. Dadurch hörte ich auf einmal die Stimme einer anderen, russischsprachigen Reiseleiterin. Was mir an ihr sofort auffiel, war die aufrichtige, nicht vorgespielte Begeisterung in ihrem Erzählen, und die Fähigkeit, den Vortrag in gesundem Maße mit ungewöhnlichen Anekdoten zu würzen. Beim Zuhören wurde mir regelrecht warm ums Herz. Nach einer Weile bemerkte ich, dass auch andere aus unserer Studentengruppe Lunte gerochen hatten: Immer mehr seilten sich von der deutschsprachigen Gruppe ab und liefen zur russischsprachigen über. Die Studenten und ich, wir standen im Kreis, hörten zu und schauten einander mit großen Augen und offenen Mündern an. Alle diese Gesichter schienen dasselbe zu sagen: Wow, ist das schön… So ganz nebenbei schaute ich mich dann auch nach dem Rest der Gruppe um, der dem deutschsprachigen Guide treu geblieben war. Natürlich: Das waren all die Leute, die nicht gut genug Russisch konnten, und - unsere Dozenten.
Für den nächsten Tag wurde eine Bustour zu den Schlössern Zarskoe Selo und Peterhof angekündigt. Ich ahnte, was uns erwartet, und seilte mich heimlich ab. Schließlich hatte ich beide Schlösser schon gesehen. Außerdem gab es ein Schloss in der Nähe, das ich noch nicht besucht hatte: Oranienbaum. Dort wollte ich hin. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln! - Ich liebe die Petersburger S-Bahn, gerade im Sommer: Die Sonne scheint herein, es ist heiß, du bekommst Durst, und plötzlich kommt eine Babuschka vorbei, die Eis verkauft. So geschah es auch diesmal. Ich fragte die ältere Dame höflich, ob ich mir das Eis anschauen könnte, das sie da im Korb trug. Sie fuhr mich sofort an: “Was für eine Unverschämtheit, ich habe Ihnen doch gesagt, was ich verkaufe, was wollen Sie da noch in meine Tasche schauen!” Ich entschuldigte mich, sagte, dass ich Ausländerin sei, dass ich die Sorten nicht kenne, die sie da aufgezählt hatte. Plötzlich wurde die Dame sehr lieb und freundlich, entschuldigte sich bei mir und zeigte mir bereitwillig ihre Eistruhe. Als sie gegangen war und ich mein soeben gekauftes Eis auspackte, sagte mein Banknachbar mit einem Seitenblick auf mich: “Wahnsinn, die hat sich sogar bei Ihnen entschuldigt. Sowas kommt selten vor. Sie können stolz darauf sein.” - Ich kam also in Oranienbaum an und ging im Schlosspark spazieren. Es war traumhaft: Herrlich warm, Sonne, blauer Himmel, keine Menschen weit und breit – und von weitem sah ich das Meer. Ich genoss den schönen Nachmittag und fuhr vergnügt zurück nach Petersburg. Dort traf ich die übrigen Studenten, die sich über die gerade durchgestandene Mammut-Exkursion aufregten: “Zwei riesige Schlösser hintereinander an einem Tag, noch dazu mit Führungen - das ist viel zu viel. Und die Reiseleiterin ist total arrogant, die hatte solche Bemerkungen abgelassen wie: Wir Russen sind sooo toll, wir sind besser gebildet als ihr, bei uns macht ja jeder Philosophie-Pflichtkurse an der Uni, aber bei euch nicht. - Und überhaupt”, regten sich die Studenten auf, “wir fahren die ganze Zeit mit diesem blöden Bus durch die Gegend, als wären wir Rentner.“ Ich erzählte ganz nebenbei von meinem selbstorganisierten Oranienbaum-Ausflug, und die Studenten betrachteten mich voller Neid: “Mensch, muss das spannend sein, selbst zum Bahnhof zu fahren und sich auf Russisch ein Ticket zu kaufen. Und dann das Erfolgserlebnis, endlich das Ticket in der Hand zu haben… und sich in der S-Bahn mit den Leuten zu unterhalten… das ist doch ein echtes Abenteuer…”
(Anmerkung: Mir hatten mal Kiewer Studenten erzählt, wie bei ihnen an der Uni die obligatorischen Philosophie-Kurse ablaufen: Man muss mehrere Hausarbeiten schreiben. Die Studenten meinen, für diesen Philosophie-Schnickschnack keine Zeit haben zu müssen. So wird fröhlich aus diversen Büchern abgeschrieben, Wort für Wort. Ohne Quellenangabe, versteht sich. Da die Dozenten die Hausarbeiten nicht lesen, ist es kein Problem, den Kurs zu bestehen.)
Unsere Studenten-Gruppe begann langsam, aber sicher zu zerfallen: Die Dozenten beschlossen, bei Regen eine Bootstour über die Kanäle zu machen. Ich entschied mich mit einigen anderen Studenten, das Heumarktviertel anzuschauen – genau die Gegend, in der Dostojevskis „Schuld und Sühne“ spielt. Wir kamen auf die Idee, auf den Spuren von Raskolnikov zu wandeln. Praktischerweise hatte eine der Studentinnen einen alternativen Reiseführer einstecken. Mit dessen Hilfe fanden wir schnell das Wohnhaus von Raskolnikov und das Haus der Wucherin. Bei unserem Spaziergang stießen wir auch auf die Puschkinskaia 10, ein alternatives Kulturzentrum, in dem die Petersburger Künstler-Rocker-Dichter-Avantgarde ein- und ausgeht. So ganz zufällig trafen wir dort einen amerikanischen Künstler, der uns gleich in ein Gespräch verwickelte. Wir ließen den Nachmittag in einem Cafe ausklingen und waren sehr zufrieden mit unserer unorthodoxen Stadttour.
Am letzten Abend gingen die Dozenten geschlossen in ein Kammerkonzert, während ich es schaffte, die Studenten in ein Rock-Festival zu locken.
Zwei Wochen später trafen sich alle Studienreise-Teilnehmer am Institut, wo die Dozenten eine kleine Feier im Stil “Deutsch-Sowjetische Freundschaft” aufgezogen hatten: Tee aus dem Samowar, Dias aus Len…, pardon, Petersburg… Das einzige, was bei dieser (n)ostalgischen Veranstaltung fehlte, waren Matrjoschkas und bemalte Holzlöffel auf den Tischen. Einer unserer Studenten wagte es zu rebellieren, indem er Musik einer alten Petersburger Rocklegende auflegte - Boris Grebenschikov. Eine unserer Dozenten explodierte förmlich: “Oh Gott, das klingt ja fürchterlich! Schaltet das sofort aus!” Niemand reagierte. Die Dozentin murmelte was von einem “Generationskonflikt”. Die Musik mussten wir schließlich doch ausschalten: Die Dozenten teilten Kopien mit den Liedtexten von “Kalinka”, “Katjuscha” und den “Moskauer Nächten” aus, den musikalischen Kanon des Instituts, und zwangen uns zum Singen.
Anno 2003, nur wenige Jahre später. Flughafen Berlin-Schönefeld. Ganz zufällig sah ich dort meine alten Dozenten, zusammen mit einer anderen Studentengruppe. Während mich erstere demonstrativ ignorierten, fand ich schnell Kontakt zu letzteren. Es stellte sich heraus, dass die Gruppe gerade von einer Moskau-Exkursion zurückgekehrt waren. Aber so ganz zufrieden schienen die Studenten nicht zu sein. „Stell dir vor“, jammerten sie mir vor, „wir wollten zum Moskauer Stadtfest, aber unsere Dozenten waren dagegen: Es stand ja die Tretiakov-Galerie auf dem Programm, also hätten wir da gefälligst alle hinzugehen. Und beim Moskauer Stadtfest, meinten die Dozenten, wäre ja erfahrungsgemäß sowieso nichts los. Unseren Vorschlag, die Tretiakov-Galerie am nächsten Tag anzuschauen, schmetterten sie ab - Plan ist Plan. Wir gingen also nicht zum Stadtfest, sahen aber dann im Fernsehen, dass die Feier total gigantisch gewesen war. Wir fragten unsere Dozenten: "Wann sind Sie eigentlich das letzte Mal in Moskau gewesen? – Antwort: "1985...“
Am Schlossplatz, vor dem Ermitage, machte die Reiseleiterin eine zehnminütige Pause - “zum Fotografieren und Aufs-Klo-Gehen”. Ich beschloss, die Zeit sinnvoll zu nutzen, lief hinüber zum Newskij-Prospekt und stürmte in den erstbesten Buchladen. Ich hatte das Glück, dort einen wahren Schatz zu finden: “100 Tonbandkassetten des sowjetischen Rock”, ein Buch über die Aufzeichnung russischer Rockmusik in sowjetischen Underground-Tonstudios. Ich kaufte es sofort und machte mich auf den Rückweg. Am Schlossplatz angekommen, wurde ich sogleich von den Studenten umringt und musste ihnen meinen Fund zeigen. Meine Russisch-Dozenten starrten mit einer Mischung aus Misstrauen und Vorwurf erst auf das riesige Buch und seinen Titel, dann auf mich, gerade so, als hielte ich die aktuelle Ausgabe des “Playboy” in der Hand. Wenn ich ihnen gesagt hätte, dass ich dieses Buch für meine Magisterarbeit über die russische Rocklyrik brauche, hätten sie mich wahrscheinlich auf der Stelle gesteinigt.
Die Isaaks-Kathedrale stand auf dem Programm. Die deutschsprachige Reiseleiterin führte uns durch das Gebäude und redete dabei mit einer Stimme, die an einen plätschernden Bach erinnerte. Der monotone Singsang machte mich schläfrig, und ich blieb auch ein wenig hinter der Gruppe zurück. Dadurch hörte ich auf einmal die Stimme einer anderen, russischsprachigen Reiseleiterin. Was mir an ihr sofort auffiel, war die aufrichtige, nicht vorgespielte Begeisterung in ihrem Erzählen, und die Fähigkeit, den Vortrag in gesundem Maße mit ungewöhnlichen Anekdoten zu würzen. Beim Zuhören wurde mir regelrecht warm ums Herz. Nach einer Weile bemerkte ich, dass auch andere aus unserer Studentengruppe Lunte gerochen hatten: Immer mehr seilten sich von der deutschsprachigen Gruppe ab und liefen zur russischsprachigen über. Die Studenten und ich, wir standen im Kreis, hörten zu und schauten einander mit großen Augen und offenen Mündern an. Alle diese Gesichter schienen dasselbe zu sagen: Wow, ist das schön… So ganz nebenbei schaute ich mich dann auch nach dem Rest der Gruppe um, der dem deutschsprachigen Guide treu geblieben war. Natürlich: Das waren all die Leute, die nicht gut genug Russisch konnten, und - unsere Dozenten.
Für den nächsten Tag wurde eine Bustour zu den Schlössern Zarskoe Selo und Peterhof angekündigt. Ich ahnte, was uns erwartet, und seilte mich heimlich ab. Schließlich hatte ich beide Schlösser schon gesehen. Außerdem gab es ein Schloss in der Nähe, das ich noch nicht besucht hatte: Oranienbaum. Dort wollte ich hin. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln! - Ich liebe die Petersburger S-Bahn, gerade im Sommer: Die Sonne scheint herein, es ist heiß, du bekommst Durst, und plötzlich kommt eine Babuschka vorbei, die Eis verkauft. So geschah es auch diesmal. Ich fragte die ältere Dame höflich, ob ich mir das Eis anschauen könnte, das sie da im Korb trug. Sie fuhr mich sofort an: “Was für eine Unverschämtheit, ich habe Ihnen doch gesagt, was ich verkaufe, was wollen Sie da noch in meine Tasche schauen!” Ich entschuldigte mich, sagte, dass ich Ausländerin sei, dass ich die Sorten nicht kenne, die sie da aufgezählt hatte. Plötzlich wurde die Dame sehr lieb und freundlich, entschuldigte sich bei mir und zeigte mir bereitwillig ihre Eistruhe. Als sie gegangen war und ich mein soeben gekauftes Eis auspackte, sagte mein Banknachbar mit einem Seitenblick auf mich: “Wahnsinn, die hat sich sogar bei Ihnen entschuldigt. Sowas kommt selten vor. Sie können stolz darauf sein.” - Ich kam also in Oranienbaum an und ging im Schlosspark spazieren. Es war traumhaft: Herrlich warm, Sonne, blauer Himmel, keine Menschen weit und breit – und von weitem sah ich das Meer. Ich genoss den schönen Nachmittag und fuhr vergnügt zurück nach Petersburg. Dort traf ich die übrigen Studenten, die sich über die gerade durchgestandene Mammut-Exkursion aufregten: “Zwei riesige Schlösser hintereinander an einem Tag, noch dazu mit Führungen - das ist viel zu viel. Und die Reiseleiterin ist total arrogant, die hatte solche Bemerkungen abgelassen wie: Wir Russen sind sooo toll, wir sind besser gebildet als ihr, bei uns macht ja jeder Philosophie-Pflichtkurse an der Uni, aber bei euch nicht. - Und überhaupt”, regten sich die Studenten auf, “wir fahren die ganze Zeit mit diesem blöden Bus durch die Gegend, als wären wir Rentner.“ Ich erzählte ganz nebenbei von meinem selbstorganisierten Oranienbaum-Ausflug, und die Studenten betrachteten mich voller Neid: “Mensch, muss das spannend sein, selbst zum Bahnhof zu fahren und sich auf Russisch ein Ticket zu kaufen. Und dann das Erfolgserlebnis, endlich das Ticket in der Hand zu haben… und sich in der S-Bahn mit den Leuten zu unterhalten… das ist doch ein echtes Abenteuer…”
(Anmerkung: Mir hatten mal Kiewer Studenten erzählt, wie bei ihnen an der Uni die obligatorischen Philosophie-Kurse ablaufen: Man muss mehrere Hausarbeiten schreiben. Die Studenten meinen, für diesen Philosophie-Schnickschnack keine Zeit haben zu müssen. So wird fröhlich aus diversen Büchern abgeschrieben, Wort für Wort. Ohne Quellenangabe, versteht sich. Da die Dozenten die Hausarbeiten nicht lesen, ist es kein Problem, den Kurs zu bestehen.)
Unsere Studenten-Gruppe begann langsam, aber sicher zu zerfallen: Die Dozenten beschlossen, bei Regen eine Bootstour über die Kanäle zu machen. Ich entschied mich mit einigen anderen Studenten, das Heumarktviertel anzuschauen – genau die Gegend, in der Dostojevskis „Schuld und Sühne“ spielt. Wir kamen auf die Idee, auf den Spuren von Raskolnikov zu wandeln. Praktischerweise hatte eine der Studentinnen einen alternativen Reiseführer einstecken. Mit dessen Hilfe fanden wir schnell das Wohnhaus von Raskolnikov und das Haus der Wucherin. Bei unserem Spaziergang stießen wir auch auf die Puschkinskaia 10, ein alternatives Kulturzentrum, in dem die Petersburger Künstler-Rocker-Dichter-Avantgarde ein- und ausgeht. So ganz zufällig trafen wir dort einen amerikanischen Künstler, der uns gleich in ein Gespräch verwickelte. Wir ließen den Nachmittag in einem Cafe ausklingen und waren sehr zufrieden mit unserer unorthodoxen Stadttour.
Am letzten Abend gingen die Dozenten geschlossen in ein Kammerkonzert, während ich es schaffte, die Studenten in ein Rock-Festival zu locken.
Zwei Wochen später trafen sich alle Studienreise-Teilnehmer am Institut, wo die Dozenten eine kleine Feier im Stil “Deutsch-Sowjetische Freundschaft” aufgezogen hatten: Tee aus dem Samowar, Dias aus Len…, pardon, Petersburg… Das einzige, was bei dieser (n)ostalgischen Veranstaltung fehlte, waren Matrjoschkas und bemalte Holzlöffel auf den Tischen. Einer unserer Studenten wagte es zu rebellieren, indem er Musik einer alten Petersburger Rocklegende auflegte - Boris Grebenschikov. Eine unserer Dozenten explodierte förmlich: “Oh Gott, das klingt ja fürchterlich! Schaltet das sofort aus!” Niemand reagierte. Die Dozentin murmelte was von einem “Generationskonflikt”. Die Musik mussten wir schließlich doch ausschalten: Die Dozenten teilten Kopien mit den Liedtexten von “Kalinka”, “Katjuscha” und den “Moskauer Nächten” aus, den musikalischen Kanon des Instituts, und zwangen uns zum Singen.
Anno 2003, nur wenige Jahre später. Flughafen Berlin-Schönefeld. Ganz zufällig sah ich dort meine alten Dozenten, zusammen mit einer anderen Studentengruppe. Während mich erstere demonstrativ ignorierten, fand ich schnell Kontakt zu letzteren. Es stellte sich heraus, dass die Gruppe gerade von einer Moskau-Exkursion zurückgekehrt waren. Aber so ganz zufrieden schienen die Studenten nicht zu sein. „Stell dir vor“, jammerten sie mir vor, „wir wollten zum Moskauer Stadtfest, aber unsere Dozenten waren dagegen: Es stand ja die Tretiakov-Galerie auf dem Programm, also hätten wir da gefälligst alle hinzugehen. Und beim Moskauer Stadtfest, meinten die Dozenten, wäre ja erfahrungsgemäß sowieso nichts los. Unseren Vorschlag, die Tretiakov-Galerie am nächsten Tag anzuschauen, schmetterten sie ab - Plan ist Plan. Wir gingen also nicht zum Stadtfest, sahen aber dann im Fernsehen, dass die Feier total gigantisch gewesen war. Wir fragten unsere Dozenten: "Wann sind Sie eigentlich das letzte Mal in Moskau gewesen? – Antwort: "1985...“
Kaggi-Karr - 14. Aug, 16:07