Meine Baba Jaga
Ich suchte eine Wohnung in Kirkenes. Was nicht ganz einfach ist - die Wohnungsknappheit in der Kommune ist katastrophal. Also nutzte ich meine Kontakte: rief die erstbeste Bekannte an und fragte, ob sie jemanden kennt, der was vermietet. ”Ja, meine Nachbarin. Da zieht grad der Untermieter aus.”. Ich rief diese an, sie überlegte eine Weile und lud mich dann zur Wohnungsbesichtigung ein. Fragte: ”Sind Sie ruhig? Bekommen Sie Männerbesuch? Sind Sie verheiratet? Machen Sie Partys? Rauchen Sie? Haben Sie Haustiere?” Ich antwortete zu ihrer Zufriedenheit. Eine Woche später bekam ich die Zusage für die Wohnung. - Nach einem halben Jahr erzählte mir meine Nachbarin ganz nebenbei: ”Zehn Minuten nachdem du mich wegen der Wohnung angerufen hattest, rief mich die Vermieterin an und fragte mich über dich aus: Ist sie nett? Ist sie ruhig?” … Einen Monat später fragte mich einer meiner Vorgesetzten: ”Na, wie lebt sich’s bei Ingeborg?” – ”Woher wissen Sie, wo ich wohne?” – ”Sie hatte mich mal angerufen, um sich über Sie zu erkundigen.”
Der Mietvertrag war knallhart: Eine ganze Seite mit Ordnungsregeln, darunter: Kein Lärm, kein Duschen, keine Waschmaschinenbenutzung nach 23 Uhr. Ich unterschrieb zähneknirschend, angesichts der Wohnungsnot in Kirkenes blieb mir ja nichts anderes übrig.
Wenige Tage nach dem Einzug kam ich am späten Nachmittag nach Hause. Meine Vermieterin stand schon breitbeinig in der Tür und keifte: „Was denn, kommst du jetzt erst von der Schule nach Hause? Wo warst du?“ Ein anderes Mal fing sie mich auch an der Haustür ab: „Vorgestern hast du nachts auf dem Fussboden getrampelt, und gestern hast du nach 23 Uhr geduscht. Direkt über meinem Schlafzimmer. Ich bin aufgewacht und musste Schlaftabletten nehmen.“
Bald bekam ich Besuch von einer russischen Familie, mit ihrem fünfjährigen Jungen. Ich warnte sie: ”Passt bitte auf, meine Vermieterin unter mir ist lärmempfindlich.” - Vater zum Kind: ”Unter uns wohnt eine alte Hexe, wenn du nicht leise bist, holt sie dich und frisst dich.” Das Kind war den ganzen Abend mäuschenstill. Beim Rausgehen schaute sich der Vater die bizarre Wanddekorationen im Korridor der Vermieterin an. Als erstes fiel ihm die kleine Brockenhexe auf, die von der Wand baumelte: „Schau, das ist sie, die alte Baba Jaga, die hier wohnt. Und auf diesem Besen fliegt sie durch die Gegend.“ Dann entdeckte er einen Vogelflügel, der an der Wand hing: „Schau mal, das ist ein Adlerflügel. Die Baba Jaga ist durch die Luft geritten, hat den Adler im Flug abgeschossen und den Flügel als Trophäe behalten.“ – An der Wand gegenüber hing ein grosses Samenmesser, diese sind nämlich in Nordnorwegen sehr beliebte Allzweck-Werkzeuge für Haus, Garten, Datsche und Wildnis: „Schau mal“, meinte der Vater zu seinem Nachwuchs, „damit hackt sie ungehorsamen Kindern den Kopf ab.“
Nach einem Jahr hatte ich endgültig die Nase voll und wollte ausziehen. Meine Vermieterin schien erleichtert zu sein. Ich packte also meine Siebensachen und schrubbte gründlich die Wohnung. Dachte dabei: Hoffentlich sind ihre Augen nicht so gut wie ihr Gehör. Als die Gute zum Kontrollieren kam, bemerkte sie, oh Schreck, dass in der Küche noch Poster an den Wänden hingen. Die hatte ich mal angebracht, weil die Wände und Küchentüren sonst ziemlich langweilig ausgesehen hätten. Und irgendwie waren die Bilder sogar stylish: So mit Schokoladen- und Kaffeemotiven. Ich lass sie dran, dachte ich, der Nächste freut sich. Nichts war: „Hier sollen mal alte Leute wohnen, die werden das nicht mögen. Runter mit den Postern!“ kommandierte die Alte, und ich musste mich fügen. Am nächsten Tag flog ich nach Deutschland und hoffte inständig, dass die Sache mit dem Umzug nun ausgestanden war.
Nach fünf Wochen kam ich zurück und machte es mir in meiner neuen Wohnung gemütlich. Wenige Tage später rief meine alte Vermieterin an: „Du hast noch Essen im Gefrierschrank, das müsstest du noch abholen.“ Mist. Das stimmte. „Wann soll ich kommen?“ – „Jetzt. Und dann werden wir REDEN.“ Oh Gott, worüber will sie reden? Hat sie irgendwo einen Staubfussel entdeckt, oder ein Kakerlaken-Nest? Dummerweise war ich jetzt erpressbar, wegen meiner Vorräte im Gefrierschrank. Mit ungutem Gefühl ging ich zu der Alten. Sie führte mich als erstes in die Küche. „Hier“, sie zeigte auf den Spültisch, die Wand darüber, die Dunstabzugshaube und die Griffe diverser Schranktüren. „Hier hast du nicht saubergemacht.“ Ich schaute hin. Fragte irritiert: „Was ist dort?“ – „Fettflecken.“ – Ehrlich: Hätte sie es nicht gesagt – es wäre mir nicht aufgefallen. Trotz nagelneuer Kontaktlinsen. „So“, sagte die Alte, „diese Stellen putzt du jetzt nochmal.“ – „Jetzt?“ – „Jetzt.“ Es liess sich wohl nicht umgehen. Das Nach-Putzen dauerte etwa zehn Minuten. Die Vermieterin stand dabei, schaute zu und zeigte ab und zu mit dem Finger auf Stellen, wo sie noch Dreck zu sehen glaubte. Dann war ich entlassen. Ich schnappte meine Ess-Vorräte und sah zu, dass ich wegkam.
Da kam ich in meine neue, hübsche Dachzimmerwohnung, machte es mir gemütlich, konnte mich aber nicht beruhigen. Bekam sogar Lust zum Morden. Schrieb eine SMS an Oxana: „Gib mir eine Axt!“ Sie rief mich an: „Was ist los?“ Ich erzählte ihr, was geschehen war. Sie begann zu lachen: „Du erinnerst mich an Raskolnikov. Weisst du noch, der bei Dostojewski, in ‚Schuld und Sühne‘.“ – „Warum?“ – „Der sass auch in seiner Dachwohnung und überlegte, wie er mittels Axt eine bösartige Alte aus dem Wege räumen könnte.“ – Dachzimmer scheinen nicht den besten Einfluss auf's Gemüt zu haben...
Der Mietvertrag war knallhart: Eine ganze Seite mit Ordnungsregeln, darunter: Kein Lärm, kein Duschen, keine Waschmaschinenbenutzung nach 23 Uhr. Ich unterschrieb zähneknirschend, angesichts der Wohnungsnot in Kirkenes blieb mir ja nichts anderes übrig.
Wenige Tage nach dem Einzug kam ich am späten Nachmittag nach Hause. Meine Vermieterin stand schon breitbeinig in der Tür und keifte: „Was denn, kommst du jetzt erst von der Schule nach Hause? Wo warst du?“ Ein anderes Mal fing sie mich auch an der Haustür ab: „Vorgestern hast du nachts auf dem Fussboden getrampelt, und gestern hast du nach 23 Uhr geduscht. Direkt über meinem Schlafzimmer. Ich bin aufgewacht und musste Schlaftabletten nehmen.“
Bald bekam ich Besuch von einer russischen Familie, mit ihrem fünfjährigen Jungen. Ich warnte sie: ”Passt bitte auf, meine Vermieterin unter mir ist lärmempfindlich.” - Vater zum Kind: ”Unter uns wohnt eine alte Hexe, wenn du nicht leise bist, holt sie dich und frisst dich.” Das Kind war den ganzen Abend mäuschenstill. Beim Rausgehen schaute sich der Vater die bizarre Wanddekorationen im Korridor der Vermieterin an. Als erstes fiel ihm die kleine Brockenhexe auf, die von der Wand baumelte: „Schau, das ist sie, die alte Baba Jaga, die hier wohnt. Und auf diesem Besen fliegt sie durch die Gegend.“ Dann entdeckte er einen Vogelflügel, der an der Wand hing: „Schau mal, das ist ein Adlerflügel. Die Baba Jaga ist durch die Luft geritten, hat den Adler im Flug abgeschossen und den Flügel als Trophäe behalten.“ – An der Wand gegenüber hing ein grosses Samenmesser, diese sind nämlich in Nordnorwegen sehr beliebte Allzweck-Werkzeuge für Haus, Garten, Datsche und Wildnis: „Schau mal“, meinte der Vater zu seinem Nachwuchs, „damit hackt sie ungehorsamen Kindern den Kopf ab.“
Nach einem Jahr hatte ich endgültig die Nase voll und wollte ausziehen. Meine Vermieterin schien erleichtert zu sein. Ich packte also meine Siebensachen und schrubbte gründlich die Wohnung. Dachte dabei: Hoffentlich sind ihre Augen nicht so gut wie ihr Gehör. Als die Gute zum Kontrollieren kam, bemerkte sie, oh Schreck, dass in der Küche noch Poster an den Wänden hingen. Die hatte ich mal angebracht, weil die Wände und Küchentüren sonst ziemlich langweilig ausgesehen hätten. Und irgendwie waren die Bilder sogar stylish: So mit Schokoladen- und Kaffeemotiven. Ich lass sie dran, dachte ich, der Nächste freut sich. Nichts war: „Hier sollen mal alte Leute wohnen, die werden das nicht mögen. Runter mit den Postern!“ kommandierte die Alte, und ich musste mich fügen. Am nächsten Tag flog ich nach Deutschland und hoffte inständig, dass die Sache mit dem Umzug nun ausgestanden war.
Nach fünf Wochen kam ich zurück und machte es mir in meiner neuen Wohnung gemütlich. Wenige Tage später rief meine alte Vermieterin an: „Du hast noch Essen im Gefrierschrank, das müsstest du noch abholen.“ Mist. Das stimmte. „Wann soll ich kommen?“ – „Jetzt. Und dann werden wir REDEN.“ Oh Gott, worüber will sie reden? Hat sie irgendwo einen Staubfussel entdeckt, oder ein Kakerlaken-Nest? Dummerweise war ich jetzt erpressbar, wegen meiner Vorräte im Gefrierschrank. Mit ungutem Gefühl ging ich zu der Alten. Sie führte mich als erstes in die Küche. „Hier“, sie zeigte auf den Spültisch, die Wand darüber, die Dunstabzugshaube und die Griffe diverser Schranktüren. „Hier hast du nicht saubergemacht.“ Ich schaute hin. Fragte irritiert: „Was ist dort?“ – „Fettflecken.“ – Ehrlich: Hätte sie es nicht gesagt – es wäre mir nicht aufgefallen. Trotz nagelneuer Kontaktlinsen. „So“, sagte die Alte, „diese Stellen putzt du jetzt nochmal.“ – „Jetzt?“ – „Jetzt.“ Es liess sich wohl nicht umgehen. Das Nach-Putzen dauerte etwa zehn Minuten. Die Vermieterin stand dabei, schaute zu und zeigte ab und zu mit dem Finger auf Stellen, wo sie noch Dreck zu sehen glaubte. Dann war ich entlassen. Ich schnappte meine Ess-Vorräte und sah zu, dass ich wegkam.
Da kam ich in meine neue, hübsche Dachzimmerwohnung, machte es mir gemütlich, konnte mich aber nicht beruhigen. Bekam sogar Lust zum Morden. Schrieb eine SMS an Oxana: „Gib mir eine Axt!“ Sie rief mich an: „Was ist los?“ Ich erzählte ihr, was geschehen war. Sie begann zu lachen: „Du erinnerst mich an Raskolnikov. Weisst du noch, der bei Dostojewski, in ‚Schuld und Sühne‘.“ – „Warum?“ – „Der sass auch in seiner Dachwohnung und überlegte, wie er mittels Axt eine bösartige Alte aus dem Wege räumen könnte.“ – Dachzimmer scheinen nicht den besten Einfluss auf's Gemüt zu haben...
Kaggi-Karr - 13. Aug, 17:22
der vater