Samstag, 2. Oktober 2010

Wohnheim, Mensa, Multikulti

Yksi Kaksi Kolme
In Kiew wohnte ich in einem sogenannten Studentenhotel für "Privilegierte": Ausländische Studenten, Doktoranden, Lehrkräfte. Ich wohnte dort zusammen mit einer finnischen Studentin: Sara. Für die Sprachpraxis Russisch war das ideal, weil wir ja die ganze Zeit nur Russisch sprachen. Ich lernte von ihr ein paar finnische Wörter und Ausdrücke, sowas wie Gute Nacht, Eins zwei drei und auch einige Schimpfwörter, die ich allerdings nur hörte, wenn sie allein in der Küche werkelte. Dafür lernte sie von mir auch was: "Scheiße".

Trudovoi lager
Sara war kurz vor ihrer Anreise in einem sibirische Jugend-Workcamp gewesen. Nun ist es so, dass "Work Camp" auf Russisch "trudovoi lager" heißt, wobei dieser Ausdruck auch die Bedeutung "Arbeitslager" hat. Sara war das zunächst nicht bewusst. Schon an den ersten Tagen, als wir ukrainische Studenten kennenlernten, erzählte sie ihnen voller Stolz, dass sie "vor kurzem als Leiterin in einem sibirischen trudovoi lager gearbeitet hatte", und wunderte sich über die schreckensverzerrten Gesichter der Ukrainer. Später war sie bei Gesprächen mit Kiewer Studenten vorsichtiger in ihrer Wortwahl.

Fenster verkleben
Im späten Herbst wurde es kalt im Wohnheim. Wir wussten nicht, wann und ob überhaupt im Wohnheim geheizt werden würde. Also halfen wir uns selbst: schalteten alle Herdplatten an, inklusiv Herdröhre, die wir öffneten. Bald lernten wir von den Wohnheim-Bewohnern, was man gegen das Eindringen der Kälte macht: die undichten Fenster verkleben! Das taten wir dann auch, und nur kurze Zeit später begann man tatsächlich zu heizen.

Katsumerda
Am Slawistik-Institut studierten noch einige andere Ausländer. Meine Finnin und ich, wir waren das ganze Jahr da. Fast die gesamte österreichische Gruppe und ein Spanier reisten Ende September ab, dafür kamen ein anderer Spanier, ein Japaner und zwei Italienerinnen. Eine der Österreicher(innen) blieb ein ganzes Semester. - Jeden Tag um die Mittagszeit trafen wir uns in der Mensa des Instituts, und zwar in einer Mensa für "Privilegierte", sprich: für Ausländer. Dort bekamen wir täglich drei bis vier Gänge serviert: gute ukrainische Hausmannskost für umgerechnet schlappe drei Euro. Unsere Gruppe saß um relativ kleinen Tisch herum, und wir hatten jede Menge Spaß. Vor allem, als wir über Schimpfwörter sprachen. Eigentlich fing das ganz harmlos an, nämlich mit zum Beispiel, dass man in Japan nicht "chin-chin" sagen darf, oder "katsumerda" auf Italienisch. "Katsumerda" heißt übrigens auf Finnisch "schau auf's Meer", auf Italienisch dagegen dasselbe, wie "chin-chin" auf Japanisch… Und unserer Österreicherin passierte folgender Ausrutscher: “Ich muss mehr Milch trinken, mein Körper braucht Cäsium.“ - Kann durchaus passieren, wenn die unmittelbare Nähe zu Tschernobyl im Unterbewusstsein wach ist…

Atsuismen
Atsu, unser Japaner, schien das russische Wort "tschut-tschut" (zu deutsch: "ein bisschen") zu mögen. Er verwendete es viel, war sich aber offenbar über dessen Bedeutung nicht ganz im klaren. So hörten wir von ihm einige rätselhafte Aussagen, wie zum Beispiel diese: "Die japanische Botschaft arbeitet tschut-tschut gut" oder "Das ist tschut-tschut dasselbe, aber ganz anders." - In Saras Jargon nannten sich derartige Äußerungen "Atsuismen". - Atsuismen im weiteren Sinne wurden von uns Ausländern beim Russischsprechen oft verwendet - spontan gebildete russifizierte Internationalismen oder Anglizismen. Innerhalb der Ausländergruppe verstand das jeder, nur die Ukrainer wurden irgendwie nie so ganz schlau daraus.

Obolon und Samogon
Pablo, unser Spanier, gab Ende September eine Abschiedsparty. Wir trafen uns in irgendeiner Wohnheimküche, jeder schleppte die Alkoholvorräte mit, die er bei sich auftreiben konnte, Atsu brachte ein interessantes japanisches Fischgebäck mit, die Spanier - Gitarren, die Ukrainer - Samogon (Selbstgebrannten). - Nun ist es so, dass man bei den Ostslawen bei jedem Alkohol-Einschank oder -nachschank einen Extra-Toast ausbringen muss, damit quasi jedes Glas Alkohol begründet wird. In unserer Situation war das nicht so einfach, da es bedeutend mehr Alkohol als Trinkanlässe gab. Daher setzten wir uns über die Regel hinweg, wodurch an jenem Abend der Spruch "Pablo fährt weg" zigmal gefallen war. Wir tranken den gesamten Vorrat: Sekt (den sogenannten "Sowjetskoie Schampanskoie" - Sowjetischen Sekt), Bier ("Obolon", gebraut im gleichnamigen Kiewer Stadtteil), Samogon, Wein. Ich weiß nicht mehr, in welcher Reihenfolge. Und jeder trank aus seinem bescheidenen sowjetischen Wohnheim-Tässchen... Obwohl ich nicht mittrank, hatte ich jede Menge Spaß. Es war nämlich sehr amüsant zu beobachten, wie die anderen sich mit der Zeit veränderten. Gegen Ende der Party schwamm auf unserem Tisch eine riesige Pfütze aus unterschiedlichsten Getränken. Auf diesem Tisch spielten wir Karten. Auf diesen sind übrigens heute noch Rotweinflecken zu erkennen.
auswaerts - 5. Okt, 19:49

Verklebte Fenster

Die Fenster verklebt hat auch mein Mitbewohner hier in Moskau für mich, schon vor ein paar Wochen, als es drohte kalt zu werden! Er hatte dafür etwas von Tesa gekauft. Was es genau war, weiß ich nicht, weil ich nicht da war, als er in mein Zimmer geschlichen ist, um es mir muggelig zu machen. Ich kannte das gar nicht. In Wladiwostok gab's das nicht. Oder?

Kaggi-Karr - 7. Okt, 21:03

Fenster

Bei Wladi kann ich mich gar nicht richtig an die Fenster erinnern... waren die da nicht das ganze Jahr über verklebt? Oder waren das ganz neue Fenster? Das Wohnheim ist doch den ganzen Herbst über saniert worden, oder?
In Kiew haben wir jedenfalls Glaswolle in die Zwischenräume gestopft und dann mit irgendwelchem Tapeten-Klebeband zugeklebt.

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